„Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“.
Predigt von Pfarrer Lutz Martini
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Liebe Gemeinde,
Bunt ist die Farbe zu unserem diesjährigen Jahresthema „Gottesfarben – tolerant aus Glauben“.Bunt, nicht schwarz, nicht weiß, auch nicht einheitsgrau, sondern vielfarbig, bunt eben. Das soll uns schon darauf hinweisen, dass wir es bei der Toleranz mit der Vielfältigkeit zu tun haben, mit der Vielfältigkeit von Ansichten, Meinungen, Gewohnheiten, Lebensentwürfen, Traditionen, Lehren und Thesen. Kommunikation über verschiedene Meinungen kann auf eine offene Weise geschehen, in der zwar die eigene Position klar gemacht wird, aber die Möglichkeit zur eigenen Einsicht in eine neue, bisher so nicht gesehene Sichtweise der Dinge möglich bleibt. Oder man kann sehr geschlossen argumentieren, sich sicher sein, dass man die Wahrheit gepachtet hat und damit nur dem anderen die Möglichkeit offen lässt, dass der sich ändert, einlenkt, klein beigibt. Das ist glaube ich nicht so sehr auf dem Weg der Toleranz.
Wunderbar erleben wir das gerade angesichts einer Schrift, die die Evangelische Kirche in Deutschland herausgegeben hat. Es ist eine Orientierungshilfe, so heißt es im Titel. Die Schrift bezieht sich auf die Stellung der Kirche zur Familie im Wandel der jüngeren gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie hat den etwas sperrigen Titel: „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“.
Diese Schrift kommt als Taschenbuch von rund 150 Seiten daher, hat ein Vorwort von Nikolaus Schneider, dem Vorsitzenden des Rates der EKD, unserem früheren, rheinischen Präses und ist gerade im vorigen Monat erschienen.Und schon geht der Sturm im Wasserglas der Kirchenblätter, Feuilletons und unter den Talaren und Messgewändern los. Badische evangelische Pfarrer und ihre frommen Gemeindeglieder laufen Sturm.
Kardinal Meissner erhebt, was er gerne tut, den Finger und lässt verlauten: Er sehe einen „Riss in der Ökumene“, den er bei einem so grundlegenden Thema nicht für möglich gehalten habe. Er könne die Evangelische Kirche in Deutschland „nur bitten, diese Orientierungshilfe schnellstens zurückzuziehen“. Die Ehe erwachse „nach christlicher Überzeugung unmittelbar dem Willen des Schöpfers“ Die Reformatoren hätten die Überzeugung von der Sakralität (Heiligkeit) der Ehe jedoch aufgegeben und sie zu einem „weltlich Ding“ erklärt. „Wie sich nun in aller Deutlichkeit zeigt, wird die Ehe so zu einer rein innerweltlichen Institution, die durch andere Zweckverbindungen ersetzt werden kann“, kritisiert Meisner. „Dass ausgerechnet Christen einen solchen Rückschritt im Verständnis von Ehe und Familie initiieren würden, hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Meisner verwies darauf, dass „die Ehe zwischen Mann und Frau, aus der Kinder hervorgehen, in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte als Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit verstanden worden“ sei.
(Ich frage mich, wie das mit dem Abbild der Trinität bestellt ist, wenn ein Ehepaar mehr als ein Kind bekommt…)
„Was Gott aus seinem inneren Wesen nimmt und uns als Gabe sowie Aufgabe in die Hände legt, steht nicht zur Disposition aktueller Tendenzen und Strömungen“, fügte der Kardinal hinzu. Er bitte die EKD eindringlich, „ihre Position hinsichtlich von Ehe und Familie zu überdenken und zurückzukehren zur Überzeugung, die unser Herr Jesus Christus uns gelehrt hat“.
Aber damit greife ich eigentlich voraus, wenn ich mich zu Beginn mit den Reaktionen beschäftige, nun das kommt sicherlich auch daher, weil diese wütenden, scharfmacherischen Reden sich eben so in den Vordergrund drängen und dem Papier eine eher ungewöhnliche Öffentlichkeit bescheren.
Was steht denn nun drin?
Unter dem Titel Autonomie und Angewiesenheit wird zunächst versucht, das Familienleben heute zu beschreiben, wobei Familie und Ehe einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, den man resümiert.Dann geht es um verfassungsrechtliche Vorgaben und Leitbilder im Familienrecht. Nach der Bestandsaufnahme versucht man eine theologische Orientierung, geht dabei auf Herausforderungen und Brennpunkte der Familienpolitik ein, und fragt dann danach, wie Kirche und Diakonie Familien stark machen können.
Wo liegen nun die Aufreger im Papier?
Ich denke, es geht in erster Linie um die Akzeptanz der gesellschaftlichen Wirklichkeit und um eine eher biblisch, denn dogmatisch begründete theologische Antwort, eben ein typisch evangelischer Ansatz.
Ich zitiere aus den zusammenfassenden Thesen:
Ein normatives Verständnis der Ehe als „göttliche Stiftung“ und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entsprechen nicht der Breite des biblischen Zeugnisses. Wohl aber kommt bereits in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck, dass Menschen auf ein Gegenüber angewiesen sind, an dem sich die eigene Identität entwickelt. In diesem Sinne ist die Ehe eine gute Gabe Gottes, die aber, wie das Neue Testament zeigt, nicht als einzige Lebensform gelten kann.
… Deswegen versteht die Reformation die Ehe als „weltlich Ding“; sie ist kein Sakrament, sondern eine Gemeinschaft, die unter dem Segen Gottes steht. (Exkurs: Luther hat entsprechend seinem „Traubüchlein“ die Eheschließung vor der Kirchentür vollzogen, sodass der anschließende Gottesdienst nicht mit dem Brautpaar, sondern mit dem Ehepaar gefeiert wurde. Die Ehe ist also für die evangelische Kirche kein Sakrament wie taufe und Abendmahl; sein ist nicht von Jesus selbst eingesetzt und ist keine absolut gesetzte Ordnung, auch wenn wir uns ihre lebenslange Dauer wünschen.
Die evangelische Kirche versucht immer wieder auch eigene Traditionen durch die Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis zu überprüfen. Ähnlich wie die katholische Kirche heute immer noch, so hat sich auch die evangelische Kirche in der Vergangenheit mit der kirchlichen Trauung von Geschiedenen schwer getan. Doch da ist man jetzt weiter: Man sieht im biblischen Zeugnis einen roten Faden der Segenshandlung Gottes, angefangen mit dem Schöpfungssegen über das Zeichen des Regenbogens bis zum Sinaibund und weiter mit den Segenshandlungen Jesu. Dieses Segenshandeln kommt im kirchlichen Leben vielfach zum Ausdruck: Von der Taufe über Konfirmations- und Trausegen bis zur Aussegnung Verstorbener. Bei unserem ökumenischen Kirchentag konnten Sie den „Lebenspfad“ entlang gehen und dabei sich Anregungen zu diesen Segenshandlungen und am Ende dann auch den Segen und ein Segensbändchen abholen. Übrigens: wer noch gerne ein Segensbändchen haben möchte: nach dem Gottesdienst gebe ich gerne welche ab.
Was hat es mit dem Segen auf sich?
Beim Segen geht es nicht nur um die Besiegelung erfahrenen Glücks, sondern vielmehr und wesentlich um den wirkmächtigen Zuspruch von Zukunft. Segen ist das Versprechen der Begleitung und Nähe Gottes, die auch die nächste Generation und zukünftige Nachkommen mit einbezieht.
Besonders kontrovers wird – auch in der evangelischen Kirche – die Segnung homosexueller Paare diskutiert. Nun zählt es zu den Stärken des evangelischen Menschenbildes, dass es die Menschen nicht auf biologische Merkmale reduziert.Der Mensch wird vom Anfang des biblischen Zeugnisses als Wesen beschrieben, das zur Gemeinschaft bestimmt ist. Immer wieder ruft die Bibel zu einem verlässlichen und verantwortungsvollen Miteinander auf und zu einer Treue, die der Treue Gottes entspricht. Wenn schwule und lesbische Paare sich zu einem solchen verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, dann sind ihre Wünsche um den Zuspruch von Segen, gerade wenn sie sich durch den christlichen Glauben getragen fühlen, genau so anzuerkennen, wie bei heterosexuellen Paaren. Auch dass wir in der Kirche nicht mit diesem Thema fertig sind, sondern immer noch nach Antworten suchen, sehe ich nicht als Schwäche, sondern als Stärke des evangelischen Prinzips.
Wie wir in der Familie und anderen Lebensbezügen eine Balance zwischen Alltag und besonderen Zeiten, Fest- und Ruhezeiten finden, wie wir der Erwerbstätigkeit, den Fragen der gemeinsamen Kindererziehung durch Mann und Frau, des Miteinanders und Füreinanders von mehreren Generationen, den Problemen häuslicher Pflege, dem Thema Gewalt in Familien, und der finanziellen Belastung, denen Familien ausgesetzt sind aus einem biblischen in gutem Sinne evangelischen Standpunkt heraus gerecht werden, das ist entscheidend, für die Familien und für die zeitgemäße Form unserer Botschaft von der Liebe und Treue Gottes zu uns.
Wie können wir sicherstellen, dass wir auf Kurs bleiben? Theologisch, kirchenpolitisch?
Als Protestanten haben wir die gute Tradition, in die Bibel zu schauen.
In den Paulusbriefen finden wir anschauliche Beispiele dafür, wie Gemeinden in Krisensituationen, auch in schwierigen sozialen, kulturellen und moralischen Problemstellungen sich beraten ließen. Paulus war ein sehr guter Berater, der in seinen Ratschlägen sich immer gebunden gewusst hat an die Botschaft von Jesus, der von Gottes Treue und Liebe zu den Menschen so neu und frisch gepredigt hat.
Zweimal resümiert Paulus da mit beinahe identischen Worten seine Bemühung, den rechten Weg zu finden: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.“ Und kurz darauf sagt er: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten, alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand sucht das Seine, sondern was dem anderen dient.“
Da haben wir die Toleranz: „Alles ist erlaubt“. Wir sind frei von alten Gesetzen und Dogmen, sofern sie um ihrer selbst willen und nicht um der Menschen willen existieren. Aber es gibt eine Eingrenzung zum „Alles ist erlaubt“: In der persönlichen Formulierung heißt es: „Aber es soll mich nichts gefangen nehmen“ und in der allgemeinen Formulierung geschieht die Präzisierung mit den Worten: „Nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.“
Es kommt also nicht darauf an, dass wir Gesetze erfüllen, mit Lehren der Kirche konform gehen, Traditionen bewahren. Es kommt viel mehr darauf an, dass wir unsere Beziehungen verantwortlich gestalten und in unseren menschlichen Beziehungen ein Abbild der Beziehung Gottes zu uns sehen. Es geht nicht so sehr darum, dass wir uns in einer falsch verstandenen Freiheit alles herausnehmen, uns ausleben, sondern dass wir unsere Freiheit auch immer zusammen sehen mit der Freiheit des anderen, ja mehr noch, darauf achten, wessen der andere bedarf. Das Aufbauen, meint die Gemeinschaft stärken. Das Dienen zielt ebenso auf die gut funktionierende Gemeinschaft.
Sehr konsequent fragt darum das EKD Papier am Ende, wie Kirche und Diakonie Familien stark machen können.
Mit den Amtshandlungen, im Kindergottesdienst, in Krabbel – und Spielgruppen, in Kinder- und Jugendgruppen, in Kinderchören, beim Väter-Kinder-Morgen und vielen Angeboten findet Begleitung und Stärkung von Familien statt. Die Diakonie unterhält eine Vielzahl von Hilf- und Beratungsangeboten: das Wellcome-Projekt für junge Familien, die Ehe – und Lebensberatung, Beratungsstellen für Jugendliche, Hilfen im Haushalt und im Krankheits- und Pflegefall.
Wie können wir einander dienen?
Das ist die Frage. Und diese Frage ist nicht nur eine evangelische. In der Ökumene wird es für die Zukunft von entscheidender Bedeutung sein, wie wir den Dienst an den Menschen aufnehmen. Da geht kein Riss durch die ökumenischen Beziehungen, weil die Protestanten in größerer Freiheit des Denkens und wie ich finde doch auch in guter Bindung an die Schrift über den Wandel der Familie nachdenken.
Wenn wir aber aufhören, zuerst danach zu fragen, was der Gemeinschaft dient und wie wir bei den Menschen sein können, dann könnte sich ein Riss auftun zwischen den Kirchen und den Menschen, zu denen wir unsere Botschaft zu bringen haben.
Das verhüte Gott.
Amen.
Die gesamte Schrift zum nachlesen:
Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken