Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation – und die Schauspielerin Anke Sevenich feiert mit. Weil die Menschen das Neue Testament seit der Reformation in deutscher Sprache lesen können – ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit.
Frau Sevenich, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern sie mit?
Martin Luther hat das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Zu seiner Zeit haben die Menschen aus dem Volk viele unterschiedliche Dialekte gesprochen – und nur Menschen von höherem Stand verstanden Lateinisch. Luther hat mit seiner Übersetzung einen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprache geleistet und gleichzeitig den freien Zugang zur Schrift ermöglicht. Dass die Gemeinden selbst die Bibel lesen konnten und nicht auf eine Auslegung der klerikalen Obrigkeit angewiesen waren, war ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung und individueller Entscheidungsfreiheit.
Das erscheint uns heute selbstverständlich …
… war es für die Menschen im ausgehenden Mittelalter aber nicht. Man muss die Reformation auch in geschichtlichem Zusammenhang sehen. Luther hat damals nicht versucht, eine neue Religion zu gründen, sondern wollte den römisch-katholischen Glauben reformieren, verändern. Es ist aber etwas Neues entstanden. Auch weil die Zeit reif für Veränderungen war – ich glaube, Luther war im richtigen Moment an der richtigen Stelle. Dass ein einzelner Mensch eine solche Bewegung in Gang setzen konnte, das macht Mut. Das macht mir zum Beispiel Mut, mich zu fragen: Ist die Zeit auch für mich reif aufzustehen und etwas zu verändern?
Was finden Sie stark an der Person Luther?
Seinen Mut, seine Unbeirrbarkeit. Aber ich habe auch Spaß an der politischen Unkorrektheit, die Luther an den Tag gelegt hat. Ich finde Menschen durchaus beeindruckend, die aus dem Bauch heraus handeln, aus berechtigtem Zorn.
Worüber würde er heute poltern?
Über soziale Ungerechtigkeiten, über die Schere zwischen Armen und Reichen, die immer weiter auseinander geht. Allerdings war Luther nicht politisch in dem Sinne, wie wir das heute verstehen. Gegen die weltlichen Fürsten hat er nicht revoltiert. Er wollte vielmehr, dass die Menschen sich der Obrigkeit, den politischen Machtverhältnissen unterordnen. Das ist ein Punkt, den wir heute anders sehen.
Die Reformation fußte auf einer neuen Sicht auf Gott: Luther entdeckte die Kraft des Glaubens neu, der allein auf die Gnade Gottes vertraut.
Das halte ich auch für wichtig, denn es macht die Menschen frei. Wenn ich über meinen Gott etwas sagen soll, dann: Er ist ein gnädiger Gott, kein strafender. Das heißt, dass man nicht aus Furcht glaubt und handelt, sondern weil man sich angenommen und aufgehoben fühlt. Ich sehe heute grundsätzlich keinen großen Unterschied zu den Katholiken, sondern verstehe uns alle als Christen. Ich fühle mich wohl in dieser offenen und mitbestimmten Weise, wie die Protestanten die Kirche heute sehen. Ich kann aber auch Vorteile bei den Katholiken entdecken: Die Inszenierung der Gottesdienste, die geht mir als Schauspielerin unter die Haut.
Sind Kirche und Glaube Themen unter Schauspielkollegen?
Nein, nicht wirklich. Das liegt vielleicht auch daran, dass jeder sich heute seinen eigenen Reim zum Thema Glauben macht: ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Anthroposophie, ein bisschen Urschrei und ein bisschen vegan – und fertig ist die ganz persönliche Mischung, fast wie im Coffee-Shop. Ich denke dann: Aber da gibt es doch schon etwas. Das Christentum begleitet mich und die Menschen, mit denen ich zusammenlebe, und das schon seit zwei Jahrtausenden. Kann also so falsch nicht sein.